Zusammenfassung
Auch psychisch gesunde, kognitiv völlig unauffällige Personen können visuelle
Halluzinationen wahrnehmen, die als Charles-Bonnet-Syndrom (CBS) bezeichnet
werden – benannt nach einem Schweizer Wissenschaftler, der solche
Wahrnehmungen erstmals im 18. Jahrhundert beschrieben hat. Den Betroffenen
ist der nichtreale Charakter der Halluzinationen in der Regel bewusst. Die
Definitionen des CBS sind nicht einheitlich. So ist etwa eine Sehbehinderung
oder Blindheit nicht in allen Definitionen gefordert, dieses Kriterium ist
dennoch häufig assoziiert mit dem CBS. Weil die Prävalenz gerade bei
Sehbehinderten oder Blinden hoch ist, sollten Augenärzte dieses Syndrom
kennen: betroffene Patienten berichten aus Angst vor Stigmatisierung häufig
nicht von sich aus von ihren Wahrnehmungen. Möglicherweise sind Frauen
häufiger betroffen als Männer. Das CBS ist vor allem bei älteren Menschen
gut untersucht, aber auch junge Menschen können visuelle Halluzinationen
wahrnehmen. Inhalt der Wahrnehmungen sind häufig Personen, die Wahrnehmungen
können unterschiedlich lang andauern. Die meisten Patienten erleben mehrere
Episoden von visuellen Wahrnehmungen. Am besten untersucht ist das CBS bei
Patienten mit Sehbehinderung aufgrund einer AMD. Neuroradiologische
Untersuchungen haben gezeigt, dass auch zerebrale Veränderungen, vor allem
im Bereich des okzipitalen Kortex, eine Rolle spielen in der Entstehung
visueller Wahrnehmungen. Vielen Patienten ist allein schon durch ein
aufklärendes Gespräch geholfen, eine (medikamentöse) Therapie ist in der
Regel nicht erforderlich. Die zugrunde liegende Pathophysiologie ist nicht
geklärt, es gibt jedoch Erklärungsmodelle.
Abstract
Even mentally and cognitively healthy people can experience visual
hallucinations. These are called Charles Bonnetʼs syndrome, named after the
Swiss scientist, who first described such perceptions in the 18th century.
Usually patients possess insight in the unreality of their visual
experiences. The definitions of CBS are not consistent. Visual impairment or
blindness is not part of every definition, but often is associated with CBS.
Ophthalmologists should be aware of this syndrome, since its prevalence is
high among blind or visually impaired people: patients often are reluctant
to admit their hallucinatory experiences, because of the fear of being
stigmatised. Possibly women are affected more often than men. CBS is well
investigated in the elderly, but also young people might experience visual
hallucinations. Hallucinatory contents commonly are persons, with varying
duration of the hallucinations. Most patients experience more than one
hallucinatory episode. CBS is best investigated in patients suffering from
AMD. Neuroimaging studies suggest that cerebral abnormalities, mainly in the
occipital cortex, might also play a role in the pathogenesis of CBS. Many
patients do not require (drug) treatment, since education itself is helpful
in most cases. The pathophysiology remains unclear, but there are a couple
of theories.
Schlüsselwörter
Neuroophthalmologie - Halluzinationen - Charles-Bonnet-Syndrom
Key words
neuroophthalmology - hallucinations - Charles Bonnetʼs syndrome